Ziemlich genau 10 Jahre ist es her, dass Max Richters Neuinterpretation von Vivaldis „Die Vier Jahreszeiten“ erschien. Jetzt hat er sich das Meisterwerk noch einmal vorgenommen, sozusagen für eine „neue Neuinterpretation“. Am 10. Juni 2022 veröffentlichte die Deutsche Grammophon „The New Four Seasons – Vivaldi Recomposed“.
„Recomposed by Max Richter – Vivaldi: The Four Seasons“ eroberte nicht nur die Klassik-Charts in vielen Ländern. Das Album wurde vor allem zum Bestseller in den Streaming-Kanälen, und das weltweit. Der Musiker, Komponist und Produzent hat anscheinend einen Nerv getroffen, denn wie wäre es sonst zu erklären, dass das Werk bis heute mehr als 450 Millionen Mal gestreamt wurde.
Max Richter gehört zu den erfolgreichsten Vertretern der modernen Klassik weltweit.
Drei Milliarden Streams und zahlreiche Auszeichnungen (Europäischer Filmpreis, Echo Klassik) sprechen eine eindeutige Sprache. Richters Musik zeichnet sich dadurch aus, dass er klassische Instrumentierung mit Ambient- und Techno-Samples verbindet. Richter selbst sieht seine Musik als ein Zusammenspiel aus Farben, Klängen und Gefühlen.
Der 1966 in Hameln geborene Musiker genoss eine klassische Ausbildung in Edinburgh, London und Florenz.
Nach dem Studium war er Gründungsmitglied des Ensembles „Piano Circus“. In 10 Jahren veröffentlichte das Ensemble fünf Alben. Nebenher arbeitete er aber auch schon mit anderen Künstlern zusammen. 2002 gab er dann sein Debüt als Solo-Künstler. Mehr als ein Dutzend Alben sind seitdem erschienen. Vor allem aber schrieb er zahlreiche Filmmusiken. So auch für den mehrfach ausgezeichneten Film Waltz With Bashir. Die Musik für mehr als 50 Spiel- und Dokumentarfilme sowie Serien geht bis heute auf sein Konto. Zuletzt entstanden u.a. Werk ohne Autor und Ad Astra.
Jetzt hat er sich also noch einmal „Die vier Jahreszeiten“ vorgenommen.
Für „The New Four Seasons – Vivaldi Recomposed“ hat Max Richter mit der Geigerin Elena Urioste und den Musikern des Chineke! Orchestra zusammen gearbeitet. Entstanden ist eine Neufassung für historische Instrumente. Mit Darmsaiten und Vintage-Synthesizern setzt Richter auf einen „raueren, punkigeren Sound“. Nach der Veröffentlichung am 10. Juni 2022 via Deutsche Grammophon gibt es sogar schon einen Termin für eine Live-Aufführung: Richter und Chineke! werden „Recomposed“ am 16. Juni gemeinsam live aufführen, in der britischen Sommershow Live at Chelsea.
In den letzten zehn Jahren hat Richter „Recomposed“ immer wieder performt.
Nun hat ihn eine Aufführung auf historischen Instrumenten zu einer „Reise durch die Partitur in Vivaldis eigenen Farben“ inspiriert. The „New Four Seasons“ bringt die Farben einer barocken Klangpalette in seine Komposition, die mit Fragmenten der vier Violinkonzerte spielt, sie in unterschiedlichen musikalischen Prismen bricht und in völlig anderen Orchesterformationen enthüllt.
Auch die Elektronik unterzog Richter einer Revision.
Er entschied sich für einen Moog-Synthesizer aus den 70er-Jahren. Sozusagen als „Äquivalent zur Stradivari“. Gefragt nach dem Unterschied zwischen modernen und historischen Darmsaiten erwidert er lachend: „So unterschiedlich wie Smooth und Crunchy Peanut Butter, hat jemand gesagt. Das bringt es eigentlich auf den Punkt!“
Auf dem Album ist außerdem das Chineke! Orchestra zu hören.
Bereits 2018 hatte Richter in einer Aufführung seiner Partitur Waltz with Bashir mit dem Orchester zusammengearbeitet. Das 2015 von Chi-chi Nwanoku OBE gegründete Chineke! ist das erste seiner Art in Europa, ein diverses Ensemble. Das Team wurde durch die junge Geigerin Elena Urioste ergänzt, die bereits zuvor mit Chineke! aufgetreten ist. „Das passte perfekt“, sagt Richter.
Chi-chi Nwanoku OBE, Gründerin und Direktorin der Chineke! Foundation, erklärt: „Dass Max sich an eine moderne Gruppe wendet und sie bittet, auf Darmsaiten zu spielen, das gibt dem Ganzen eine weitere Dimension – voll Neugierde, Abenteuer und Offenheit.“ Das Ensemble, das nicht vertraut war mit historischen Instrumenten, bereitete sich extra durch Workshops in London auf die Aufnahmen vor. Die Musiker lernten den Umgang mit den leichteren Barockbögen und machten sich mit der ungewohnten Klangqualität vertraut.
Der Prozess wurde in Richters neu erbautem Studiokomplex in Oxfordshire fortgesetzt. Der Komponist und die Musiker arbeiteten dabei eng zusammen und diskutierten über alle Aspekte der Musik, bis hin zum Storytelling des Vivaldi’schen Originals. Schon die erste Aufnahmesitzung begeisterte Richter: „Chineke! ist eine junge Band, man hat das Gefühl, dass man mit der Zukunft arbeitet.“ Und über Urioste sagt er: „Es war erstaunlich, wie sie auf ihre Art die Musik zum Sprechen brachte. Sie ist absolut brillant.“
Urioste selbst beschrieb den Spirit der Sessions: „Es geschieht nur selten, dass in einem Projekt, an dem so viele Leute beteiligt sind, ein solches Engagement aufkommt. Das Musizieren hat sich natürlich, schön und warm angefühlt….“
Max Richter, Elena Urioste und das Chineke! Orchestra haben sich gegenseitig zu Höchstleistungen angetrieben. Mal sinnlich verspielt, dann wieder kraftvoll und mitreißend, fast schon rockmusikalisch. Sie transportieren gekonnt Vivaldis Meisterwerk in die Gegenwart. Sie schlagen damit eine Brücke von der Barockzeit in die Gegenwart. Auch diese Arbeit von Max Richter wird sicher viele Hörer gewinnen.
Max Richter: „The New Four Seasons: Vivaldi Recomposed“
VÖ: 10.06.22
Label: Deutsche Grammophon / Universal Music
Quelle: Universal Music
© Christian Behring im Juni 2022